Früher Opfer von Menschenhandel, heute Aktivistin

„Seit ich Euch begegnet bin, habe ich die Kraft, Dinge zu ertragen, die ich davor nicht aushalten konnte”,
sagt Joy, 4o Jahre alt. Sie hat Menschenhandel, Gewalt, Ausbeutung und Zwangsprostitution erlebt.
Heute macht sie im FIZ in einer Gruppe mit, deren Mitglieder sich "Aktivistinnen" nennen und sich für andere Frauen aus Afrika engagieren, die Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung erlebt haben.
Zum 18.10., dem Tag gegen Menschenhandel, stellen wir ein spannendes Projekt vor.
Hand in Hand unterstützen die Aktivistinnen andere Frauen in Not

„Seit ich Euch begegnet bin, habe ich die Kraft, Dinge zu ertragen, die ich davor nicht aushalten konnte”, sagt Joy, 40 Jahre alt. Sie hat in ihrem Leben vieles durchgemacht: Sie wächst in einem entlegenen Dorf in Südnigeria in großer Armut auf, kann nur ein paar Jahre die Dorfschule besuchen und tut sich deshalb bis heute mit Lesen und Schreiben schwer. Mit 22 Jahren wird sie von ihrer Schwiegerfamilie gegen ihren Willen beschnitten, also an den Genitalien verstümmelt, ebenso wie ihre neugeborene Tochter. Daraufhin flieht sie in die Stadt, wo ihr eine Frau Hilfe anbietet, um ihr Leben zu verbessern: Sie will ihr Arbeit in vermitteln. Joy ist begeistert. Doch das Angebot ist eine Falle: Sie wird auf dem Landweg nach Italien gebracht und zur Prostitution gezwungen. Damit soll sie 60.000 € verdienen und an die Menschenhändlerin bezahlen. Joy wird mit Gewalt gefügig gemacht und schwer misshandelt. Erst nach einigen Jahren gelingt ihr die Flucht nach Deutschland, wo sie Asyl beantragt.

Hier wird sie vom Fraueninformationszentrum FIZ unterstützt und begleitet. Mit Begeisterung engagiert sie sich nun in der „MPS-Gruppe“. MPS steht für „Multiplikatorinnen-Peer-Support“ und meint, dass die afrikanischen Frauen, die von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen waren, zu Multiplikatorinnen werden und andere aus ihrer Peer-Gruppe unterstützen. Dieses Projekt wird von der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Diakonie Württemberg finanziell gefördert. Eine erste Gruppe mit sieben Aktivistinnen, wie sich die Frauen selbst bezeichnen, ist bereits seit einem Jahr aktiv. Zunächst wurden sie in Workshops geschult zu Themen wie Asylrecht, Trauma und Gesundheit. Jetzt helfen sie anderen Frauen, die sie durch ihre communities kennen lernen, klären sie über das Asylverfahren, Menschenhandelsstrukturen und über ihre Rechte auf, informieren bei Frauentreffen in Flüchtlingsunterkünften, machen bei Veranstaltungen mit oder bringen ihre Erfahrungen in Seminaren für Studierenden der Sozialen Arbeit ein. In regelmäßigen Begleittreffen tauschen sich die Frauen aus und erhalten Informationen zu Fragen, die sie mitbringen. FIZ-Mitarbeiterin Nele Diether unterstützt und reflektiert mit den Frauen, damit es nicht zu Überforderungen kommt.

Joy gehört zur zweiten Gruppe mit neun Frauen, die gerade geschult wird. Sie genießt die Workshops, ist wissbegierig, will lernen und die Unterstützung, die sie selbst bekommen hat, auch anderen geben. Sie will sich für die Rechte von Frauen einsetzen, die genauso viel wert sind wie Männer. Und dafür, dass Schwarze genauso viel wert sind wie Weiße: „Ich verstehe nicht, warum die Weißen nicht begreifen, dass wir doch alle dieselben sind – Menschen!“ Nele Diether ist begeistert von den Aktivistinnen: „Es ist beeindruckend, wie sich die Frauen mit viel Stärke, Kreativität und Selbstbewusstsein für andere engagieren – und das, obwohl sie selbst manchmal gesundheitlich belastet sind, eingespannt sind in Kindererziehung, Arbeit und Ausbildung und dem Leben in einem fremden Land mit fremder Sprache“. Sobald die Workshops für die zweite Gruppe im Herbst beendet sind, wird auch Joy aktiv werden. Und sie will im nächsten Jahr die dritte Gruppe bei den Schulungen unterstützen – damit immer mehr Frauen das Handwerkszeug bekommen, um anderen zu helfen und für ihre Rechte einzutreten.